Literatur

Was ist das und was bedeutet sie für uns?

Modernes Bürgertum

Lange wurde Literatur als Begriff für die Werke der Gelehrten verwendet. Ihre Abhandlungen in Philosophie, Medizin, Theologie und Jurisprudenz erschienen in Latein. Mit der Aufklärung entwickelten sich in Europa die nationalen Schriftsprachen, wodurch sich das Leseverhalten änderte. Es entstand ein großer Bildungshunger. Städte gründeten Schulen, auf dem Land boten Klöster oder der Landesherr Unterricht an. Auch viele Frauen lernten Lesen und Schreiben. Aus dem Handels- und Gewerbebürgertum entwickelte sich langsam das Bildungsbürgertum. Erst kommt es zur geistigen, dann zur gesellschaftlichen und politischen Emanzipation.

(Illustration: Mathias Hühn)

Romane gab es schon in der Antike in allen Kulturkreisen. Im 18. Jahrhundert entstand der moderne Roman und aufgrund des technischen Fortschritts wurde er in Massenproduktionen vertrieben.  Als Sinn des Lebens propagierte man bis dahin die Vorbereitung auf das Jenseits. Nun wendete sich die Literatur dem Individuum und seiner persönlichen Entwicklung zu.

Unterhaltungsliteratur

Die Wahl des Themas, Neugier auf die Handlung oder das Vergnügen an einem ungewöhnlichen Sprachspiel wird von den Lesenden als Unterhaltung empfunden. Unterhaltung muss nicht das Niveau der Bücher senken, sondern kann gleichwertig neben ästhetischen Anforderungen stehen.

Belletristik und damit der moderne Roman darf nicht mit Trivialliteratur gleichgesetzt werden. Stereotype Handlungsabläufe und Personenbeschreibungen prägen wesentlich die Trivialliteratur. Die Erzählstruktur folgt wenigen Grundmustern. Sie möchte den Lesenden lediglich einige sorglose Stunden mit märchenhaften Erzählungen bereiten.

Unterhaltungsliteratur schildert facettenreiche Charaktere, entwickelt spannende Handlungen, berichtet über historische und soziale Zusammenhänge. Die Protagonisten sollen eine persönliche Entwicklung durchmachen, sie sollen beispielsweise Glück und Unglück erleben und damit fertig werden. Der Roman soll die Lesenden berühren, ihre Gefühle ansprechen.

Viele Bücher der Weltliteratur sind leicht zu lesen. Die Lektüre bereitet durchaus Vergnügen und unreflektiertes Behagen. Sie dient nicht der Zerstreuung, denn sie lenkt nicht von eigenen Gedanken ab.

(Illustration: Mathias Hühn)

Männer lesen häufiger Sachbücher, Frauen eher Belletristik. Werke der Belletristik sind wichtige Quellen über die Gesellschaft, aber keine wissenschaftlichen historischen Berichte. Sie erzählen von den persönlichen Gedanken und Erfahrungen der Schreibenden, die literarisch verarbeitet werden. Sie sprechen die Gefühle der Lesenden an und damit eher Frauen. Frauen verstehen Gefühle als Informationen und setzen sie für künftiges Handeln ein. Ihre Gefühle signalisieren, was sie wollen.

Die Literaturkritik versucht häufig, das Lesevergnügen zu versachlichen. Sie beleuchtet Schreibende, Stil und Inhalt eines Romans unter literaturgeschichtlichen Aspekten. Lässt sich das Werk nicht in literarische Traditionen einordnen, verliert es ihrer Ansicht nach an Wert.

Rezeption und Wirkung von Literatur

Rezeption beginnt nicht mit dem ersten Satz des Buches. Der Text wird durch Lesen mit Bedeutungsvielfalt gefüllt. Die Protagonisten der Bücher rufen häufig Sympathie hervor und lenken die Gedanken. Sie wirken unmittelbar auf das Gefühl und verbinden harmonisch Phantasie und Verstand. Die Lesenden fühlen Bewunderung, Ärger, Begeisterung, Sehnsucht, Neid, Langeweile oder Verachtung. Sie erkennen sich selbst und sind hinterher meist klüger.

Die Lesenden interessieren sich selten für die Intentionen der Schreibenden. Sie entscheiden selbst, wie weit sie sich auf die Fiktion einlassen. Ausschlaggebend ist immer der soziokulturelle Hintergrund der Lesenden.

Gute Schreibende entwickeln Gestalten, Situationen und Handlungen, die scheinbar exakt sind, aber die Lesenden trotzdem zwingen, eine persönliche Einstellung zu entwickeln. Vorurteile können durch Perspektivwechsel aufgelöst werden. Schon Charles Lamb sagt: „Ich kann nicht einfach dasitzen und denken. Die Bücher denken für mich.“ (London 1833).

(Illustration: Mathias Hühn)

Die Lesenden lassen nach der Lektüre die Gedanken schweifen. Sie können einzelne Passagen oder gar das ganze Buch noch einmal lesen. Das unterscheidet die Parallelwelt im Buch von der gelebten. Ein einziger Text kann genügen, um die Welt neu zu definieren.

Ein Autor, der Tabus bricht, kann bei einem offenen Leser eine Bewusstseinsänderung auslösen. Romane lösen keine Revolutionen aus. Aber einige Lesende befassen sich erst durch Bücher beispielsweise mit Armut und sozialen Abhängigkeiten.

Die literarisch-geistige Bildung weicht die starren gesellschaftlichen Strukturen auf. Bis zur Aufklärung bestand die Gesellschaft aus Gruppen von Gleichen: Stand, Religion oder Beruf. Durch die neuen gemeinsamen Interessen entsteht eine soziale Bewegung aus aufgeschlossenem Adel, Bürgertum und seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch Arbeitern, die sich bilden und organisieren.