Frauen

Frauen die lesen –

Ein historischer Abriss

Das Patriarchat

(Illustration: Mathias Hühn)

Bis zur Aufklärung empfanden die Menschen in Europa ihr Leben als Bewährung und Vorbereitung auf das Jenseits. Die  gesellschaftlichen Verhältnisse waren für sie gottgegeben. Das Paradies erwarteten sie nach dem Tod.

Patriarchalische Strukturen prägten das Leben. Der ideale Mann war ein Held und mutiger Kämpfer, strahlte männliche Überlegenheit aus. Er verfolgte zielstrebig und ehrgeizig seine militärische oder zivile Karriere und heiratete, um einen Sohn zu zeugen, der die Familientraditionen fortführt. Er führte ein aktives und erfülltes Leben. Die Bestimmung der Frau war die Ehe und das Haus. Sie war religiös, unterwarf sich dem Mann und versorgte Haushalt und Kinder. Sie lebte für ihre Pflichten. Ihr Leben war eintönig und ohne Anregung.

Frauen, die ein selbständiges und unabhängiges Leben führen wollten, konnten vor der Aufklärung lediglich ins Kloster gehen, wo viele Nonnen es zu großer Gelehrsamkeit brachten.

Der Wandel

Im 18. Jahrhundert änderte sich das Menschenbild. Rousseau postuliert: „Der Mensch ist gut! Er kann im Diesseits höchstes Glück empfinden, wenn er zur Tugendhaftigkeit erzogen wird.“ Vom Mann verlangte er, dass er seinen Verstand ausbildet. Für Frauen galt: Sie sollten Gefühle wie Nächstenliebe, Dankbarkeit und Bescheidenheit lernen. Ihre Schönheit sollten sie perfektionieren und in den Dienst des Mannes stellen.

Die sozioökonomischen Verhältnisse veränderten sich. Maschinen  erleichterten das Leben. Menschen lernten Lesen und Schreiben. Bücher und Zeitschriften überschwemmten den Markt. Immer mehr Frauen des niedrigen Adels und des Bürgertums fanden Muße zum Lesen.

Frühe Frauenliteratur

Im 18. Jahrhundert entstand die Belletristik. Viele Frauen von Lehrern und Pfarrern schrieben Romane, die aber nur einen kleinen Markt fanden. Waren sie nicht klug? Fehlte die Qualität? Das literarische Können? Virginia Woolf erklärt zu Beginn des 20. Jahrhunderts: „Die Qualität der Literatur hängt von der Lebenserfahrung ab.“ Das Leben der Frauen beschränkte sich im 18. Jahrhundert auf Religion, Haus und Kinder. In ihren Romanen entwarfen sie  ein provinzielles Bild vom Leben und der Welt. Die individuelle Erfahrung kann nicht durch Phantasie ersetzt werden. Virginia Woolf riet daher allen Frauen ihrer Zeit zu einem selbständigen Leben: Alleine Wohnen und eigenes Geld verdienen.

(Illustration: Mathias Hühn)

Einen frühen wichtigen Frauenroman der Aufklärung schrieb Sophie La Roche 1771. In dem Briefroman „Die Geschichte des Fräulein von Sternheim“ erzählt sie die Abenteuer und psychologische Entwicklung eines jungen Mädchens. Warum ist diese Autorin trotzdem heute den meisten unbekannt?

Sophie La Roche ist in ihrer Zeit eine moderne Frau, aber keine Revolutionärin. Sie unterstützt den Status quo, wünscht lediglich einige Verbesserungen. Die Protagonistin ihres Romans bezeichnete sie als „papierene Tochter“. Ihre Ideen zur Erziehung einer Tochter konnte sie nicht ausprobieren. Ihr Mann beschloss, die Töchter wie damals üblich zur Ausbildung ins Kloster zu geben. Trotzdem war sie Vorbild für die adligen, aber auch  bürgerlichen Frauen. Sie gab eine Frauenzeitschrift heraus, deren Beiträge sie meist selbst schreibt, und erklärte den Frauen, wie sie sich kleiden und schminken, wie sie sich bilden können.

Männer entwickelten große Ideen in Literatur, Kunst, Politik und Pädagogik. Sophie La Roches Literaturidee war großartig und wird in die Theorien der Männer integriert. Sie wurde auch vergessen, weil sie  keine persönliche Entwicklung durchmacht. Dieses Schicksal teilte sie mit vielen Frauen.

Bedeutung Lesekreis für Frauen

Lesen führt von der Unwissenheit und Unmündigkeit zu Wissen und Macht. Wer nicht lesen kann, bleibt in der Welt der Kinder. Männer wünschten sich ahnungslose und naive Frauen.

Die Emanzipation der Frauen begann mit dem Lesen. Sie distanzierten sich von der ihnen zugedachten Rolle, entwickelten geistige Beweglichkeit, entkamen der Enge und wuchsen in eine neue Welt hinein.

An Lesekreisen nehmen überwiegend Frauen teil. Warum?

(Illustration: Mathias Hühn)

Die geschlechtsspezifische Erziehung gilt als Relikt der patriarchalischen Gesellschaft. Aber noch immer wird Männern suggeriert, sie seien naturgemäß Verstandesmenschen und Frauen emotional. Frauen und Mathematik? Männer und Hausmann? Auch heute eher ungewöhnlich! Männer lösen seit Jahrhunderten die Probleme der Welt und Frauen unterstützen sie im Hintergrund.

Seit der Aufklärung sind die weiblichen Erziehungsideale: Bescheidenheit, Dankbarkeit, Takt, Sensibilität und Empathie. Frauen bildeten ihre emotionalen Kompetenzen aufgrund dieser Vorgaben und der entsprechenden weiblichen Vorbilder stärker aus als Männer. Soft Skills sind die Domäne der Frauen und werden für unsere Arbeitswelt immer wichtiger. Lesen hilft entscheidend diese Anlagen zu fördern.

Durch die Lektüre werden die Teilnehmenden der Lesekreise mit unbekannten Gedanken und Lebensmustern konfrontiert. Sie begleiten die Protagonisten und lernen Parallelwirklichkeiten kennen. Manchmal finden sie auch Rat bei eigenen Problemen. Das  macht neugierig auf alternative Formen des Lebens und regt zum Erfahrungsaustausch an.

Rolle der Frau heute

Gleichberechtigung ist in unserem Land gesetzlich festgeschrieben. Männer und Frauen haben dieselben Bildungs- und Jobchancen, dürfen eigenständig entscheiden, ob sie heiraten, als Paar nur zusammenleben oder Single bleiben. Kinderwunsch bestimmt nicht mehr die Beziehungen.

(Illustration: Mathias Hühn)

Ist Gleichberechtigung damit realisiert? Die Abhängigkeit der Frauen ist nicht natur- sondern kulturbedingt. Seit dem 18. Jahrhundert haben sich die Rahmenbedingungen für die Frauen verbessert. Sie dürfen mit Männern konkurrieren und sich gegen sie durchsetzen.

Aber unverändert werden die entscheidenden Machtpositionen in Politik und Wirtschaft meist mit Männern besetzt.

Zum Ziel ist es noch ein weiter Weg. Wie erreicht man es? Frauen in gesellschaftliche Führungspositionen und mehr Männer in Lesekreise!